Forschungsplattform ehub

Revolution im Untergrund

20.06.2017 | RAINER KLOSE

Wie organisieren wir die Energieversorgung im postfossilen Zeitalter? Wie lässt sich Energie effizient speichern? Und wie organisieren wir die Verteilung so ökonomisch und komfortabel wie möglich? Die Empa-Forschungsplattform ehub sucht Antworten.

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Eine Kombination von dreizehn verschiedenen Speichern und Energiequellen versorgt das futuristische Wohnquartier im Forschungsgebäude NEST und die Fahrzeugflotte im move. Die optimale Steuerung solch komplexer Versorgungswerke ist bislang kaum erforscht – und noch nie im realen Betrieb ausprobiert worden. Der Demonstrator Energy Hub (ehub) wird das ändern und soll Erkenntnisse über die nachhaltige und sichere Energieversorgung unserer Zukunft liefern.
Stolz zeigt das Forschungsgebäude NEST auf dem Empa-Campus in Dübendorf seine auf offenen Plattformen montierten Forschungsprojekte: Die Holzfassade der Unit «Vision Wood», die auskragenden Besprechungsräume des Büroversuchs «meet2create» und bald auch die zweistöckige Glasfassade der Unit «Solare Fitness & Wellness». Doch ein entscheidender Teil der Forschungsarbeit – vielleicht sogar der visionärste – steckt im Verborgenen. Über ein neuartiges, besonders flexibles Energienetz sind die Forschungsmodule des NEST mit dem Mobilitätsdemonstrator «move» verbunden. Sie bilden gewissermassen ein Stadtquartier der Zukunft. Hier könnte sich herausstellen, wie wir die Energieversorgung unserer Städte in den nächsten Dekaden entwerfen und betreiben müssen.
Staatstragend oder autonom?

Häuser und Quartiere der Zukunft könnten sich über längere Zeit selbst mit Energie versorgen. Obwohl technisch möglich, sind sie sinnvollerweise nicht vollkommen autark. Immer wieder verbinden sie sich mit dem öffentlichen Stromnetz, speisen Strom aus Solaranlagen ein oder beziehen zu Spitzenlastzeiten oder über längere Perioden, wie im Winter, zusätzliche Energie. Dies ist bei weitem nicht nur Strom, sondern auch Wärme und, für die Mobilität, auch Wasserstoff oder erneuerbares, synthetisches Erdgas.

Nur: Wie soll das optimal geregelt werden? Und wessen Interessen sind letztlich bestimmend? Sind es die Energieversorger, die – verständlicherweise – ein möglichst stabiles Stromnetz mit voraussagbaren Lasten möchten und bei Spitzen Zugriff auf Notreserven wünschen? Dürfen Sie in dem Fall auch Geräte in Privathaushalten an- und abschalten, um das Netz stabil zu halten, dem Gemeinwohl zu dienen (und dabei ihre Gewinne zu maximieren)? Sollen Energieversorger neue Technologien bei Bewohnern installieren und betreiben, oder sind es die Privathaushalte, die möglichst optimal wirtschaften möchten? Möchten die Bewohner ökologisch wirtschaften und ihren CO2-Ausstoss reduzieren – oder lieber Energie der jeweils preisgünstigsten Quelle nutzen?

Was ist mit neuen Anbietern, die mit viel zusammengetragenem Wissen aus dem Internet neue, personenbezogene Dienste etablieren wollen und damit das Netz für den Netzbetreiber kaum vorhersehbar belasten? Was ist, wenn die Speicherbatterie im Haus nicht nur für die optimale Nutzung des Eigenverbrauchs, sondern auch für gezielte Umgehung von Tarifen und allfälligen Nutzungseinschränkunen des Betreibers eingesetzt werden?

Diese Fragen sind nicht nur gesellschaftlich und wirtschaftspolitisch relevant; auch die technische Lösung künftiger Einspeise- und Bezugsregelungen ist bislang nur unzu­reichend erforscht. Der Energieforschungsdemonstrator der Empa, der «Energy Hub» (ehub) soll Antworten liefern und Möglichkeiten aufzeigen. Wenn NEST einst voll belegt sein wird, werden bis zu 15 Forschungseinheiten mit Wohnungen, Büros und Freizeitanlagen vom ehub versorgt – das bedeutet den Energieverbrauch von 40 Bewohnerinnen und Bewohnern und 40 tagsüber im Gebäude arbeitenden Menschen. Der Energieverbrauch der einzelnen Units wird sich mehrfach am Tag ändern und damit auch die Fliessrichtung der Energie.

So wird beispielsweise die Mittagssonne auf die Solardächer der Wohnmodule strahlen, in denen dann aber niemand Energie bezieht, während zur gleichen Zeit Energie im Bürotrakt benötigt werden wird. Am Abend kann die überschüssige Wärme aus den Modulen mit Südwestfassade abgeleitet werden und die Sauna im Fitness-und-Wellness-Bereich aufheizen.

Saisonale Energiespeicher

Zusammen mit dem Energiemanagement innerhalb eines Tagesverlaufs werden auch Speichermedien erprobt, die Energie tageweise, wochenweise oder gar saisonal speichern können. Das Zusammenspiel all dieser Komponenten soll dann Möglichkeiten aufzeigen, wie sich Energie in einem erneuerbaren Zeitalter optimal verteilen und nutzen lässt. Der ehub verfügt über einen 65 Kubikmeter grossen Eisspeicher, zwei Erdsonden mit 260 Meter Bohrtiefe und eine gewendelte Erdsonde, die in 12 Meter Tiefe reicht. Im Sommer wird mit Solarwärme Eis abgetaut, im Winter kühlt eine Wärmepumpe das Wasser soweit ab, bis es gefriert. Die Kristallisationswärme, die beim Gefrieren frei wird, kann so ebenfalls genutzt werden.

Die drei Erdsonden werden im Sommer mit bis zu 80 Grad warmem Wasser durchspült; die gespeicherte Wärme im Boden kann dann im Winterhalbjahr ins Haus zurückgeholt werden. Zudem verfügt das NEST über Superkondensatoren zur raschen Stromspeicherung und ein Batteriepaket mit einer Kapazität von 96 kWh (Kilowattstunden) – das entspricht der Kapazität von fünf BMW i3 oder einem Tesla Model S. Die Batterien sollen laut Planung etwa den Tagesbedarf eines voll besetzten NEST speichern können.

Sind die Batterien voll, kann überschüssiger Strom ins move geleitet und dort in einer Elektrolyseanlage zur Wasserstofferzeugung genutzt werden. Wasserstoff lässt sich in Druckgasflaschen über mehrere Wochen lagern oder direkt in Brennstoffzellenautos nutzen. Auch NEST selbst kann Wasserstoff wiederverwerten: Im Keller steht eine Hochtemperatur-Brennstoffzelle, die normalerweise Erdgas in Strom und Wärme verwandelt. An ihr soll untersucht werden, wie viel selbst erzeugter Wasserstoff dem Erdgas zugemischt werden kann.

Flexibilität als Forschungsgegenstand

Die in NEST eingebauten Haustechnikkomponenten sind dabei keine Prototypen, sondern zumeist kommerziell erhältliche Geräte auf dem aktuellen Stand der Technik. Der Clou liegt in der neuartigen Vernetzung der Komponenten, mit der die Forscher neue Szenarien der Energiebewirtschaftung flexibel evaluieren und deren Wirksamkeit analysieren wollen. Nicht nur können Forscher und Industriepartner dort neue Steuerungsmodule oder Prototypen einbauen und validieren, auch die Regelung selbst ist höchst flexibel: Alle im Normalbetrieb automatisiert laufenden Anlagen können von internen und externen Forschern übersteuert, mit neuen Algorithmen versehen und zu neuen Verbrauchergruppen zusammengefasst werden.

Die Forschungsarbeit im ehub begann im November dieses Jahres. Als erstes Projekt wollen die ehub-Forscher die Auswirkungen von Stromleistungstarifen auf das Verteilnetz theoretisch vorausberechnen. Die so gewonnenen Hypothesen werden dann im ehub in die Realität umgesetzt und in Zusammenarbeit mit den Bewohnern praktisch erprobt. Auch die Auswirkungen von Geräten und Nutzern, die die Netzstabilität positiv, aber auch negativ beeinflussen, können im NEST durchgespielt werden – im Extremfall bis zum Blackout oder einem Ausfall der Heizungs- und Kühlanlage. Die Forschungsplattform erlaubt solche Übungen ohne Risiko, denn sie verfügt über eine Rückfallebene, die den Normalbetrieb rasch wieder herstellen kann.

Die Forschungsprojekte im ehub werden Erkenntnisse darüber bringen, wie viel Energie mit welchen Leistungsspitzen in Wohnquartieren benötigt wird und wie sich die benötigte Energiemenge mit vernünftigem Aufwand minimieren lässt. Es wird unter anderem Hinweise darauf geben, wie autonom Wohn- und Arbeitsquartiere ihre Energieversorgung bewirtschaften dürfen – und inwieweit netzdienliches Verhalten künftig mit Gesetzen und Verordnungen erreicht werden soll. Der ehub ist damit nicht nur ein technisches und ökologisches Forschungsprojekt, sondern auch ein politisches.

ehub

Der ehub ermöglicht es zu erforschen, wie Energieflüsse innerhalb eines Wohn- und Büroquartiers optimiert werden können. Er verbindet alle Komponenten im NEST, die Energie produzieren, speichern umwandeln oder abgeben. Zusätzlich verbindet er die Energieflüsse aus dem Gebäudebereich mit dem move, dem Future Mobility Demonstrator auf dem Empa Campus. So wird es möglich erneuerbare Elektrizität als Treibstoff für Fahrzeuge zu verwenden oder in Form von Wasserstoff zu speichern.

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ehub / RFA Energie
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