Zum Inhalt wechseln

Nachbau von historischen Posaunen

Romantische Replikate

19.12.2019 | ANDREA SIX

Ein Musikstück genauso zu spielen, wie dieses vom Komponisten ersonnen wurde, liegt im Trend. Woher aber die raren historischen Instrumente nehmen? Die Lösung wären exakte Nachbauten der begehrten Originale. Empa-Forscher analysieren das Material und den Klang derartiger Replikate. Das Ziel: Posaunen aus der Epoche der Romantik mit ihrem typischen Klang und entsprechend der damaligen Handwerkskunst mit authentischen Materialien nachzubauen.

/documents/56164/10685931/Posaune+Stopperbild+EQ66.jpg/3255dcb9-aa53-424a-9b61-30afd50e2ab9?t=1570435189460
Kostbare Originale: Frühromantische Bass-, Tenor- und Altposaune .Das historische Original (vorne) einer romantischen Posaune wurde von den Akustikforschern mit einem exakten Replikat (Mitte) der Experten vom Blechblasinstrumentenbau Egger in Basel und einem modernen Instrument (hinten) verglichen. Typischerweise ist der Schallkranz der historischen deutschen Posaune von feinen Gravurarbeiten überzogen. Bild: Empa

Die Musiker und Dirigenten der Klassikszene verlangen danach, und der Instrumentenbauer Rainer Egger in Basel möchte liefern: Replikate von Posaunen aus der Epoche der Romantik. Besonders sind diese Posaunen wegen ihres dunklen Klangs, der die Symbolik in den damaligen Kompositionen voll grosser Gefühle zur Geltung kommen lässt. Beteiligt an dem ehrgeizigen Innosuisse-Projekt «The Sound of Brass» der Hochschule der Künste in Bern sind auch Empa-Forscher, die das Material und den Klang der historischen Originale analysierten – und die Ergebnisse auch schon mit den ersten Replikaten verglichen haben. Das Projekt soll zeigen, wie sich Nachbauten erzeugen lassen, die sich mit den historischen Instrumenten messen können – oder diese klanglich gar übertreffen.

Wie klingt denn das? Interaktives Bild mit Hörproben

Egger, der Industriepartner des Projekts, hat sich auf den historisch-informierten Instrumentenbau spezialisiert und will die spezielle «Deutsche Romantische Posaune» neu erstehen lassen, die im 19. Jahrhundert vor allem im deutschsprachigen Raum und teilweise auch in Italien gespielt wurde. Brahms, Schumann und Rossini mögen ihre Kompositionen für diese Posaunen geschrieben haben, denen Zeitgenossen einen «fabelhaft weichen und vollen Ton» bescheinigten. «Heutige Posaunen klingen ganz anders», erklärt Egger. Er ist schon lange davon überzeugt, dass die Konstruktionsweise der Instrumente, das verwendete Material und die Fertigungstechnik für den einzigartigen Klang verantwortlich sind. Wissenschaftlich bewiesen war dieser Zusammenhang bisher allerdings nicht.

Musik liegt in der Luft
/documents/56164/11364807/Posaune_Infografik_870/ded6cfe2-fa29-4acd-8c67-8ab19c6cb72b?t=1576745488247
So wird Musik draus: Damit in einer Posaune ein Ton entsteht, muss der Musiker seine Lippen in Hunderte von Schwingungen pro Sekunde versetzen. Diese rapiden Druckschwankungen setzen sich wellenförmig im S-förmig gebogenen, insgesamt 2.4 Meter langen Rohr der Posaune fort. Am Ende, im Schallstück, werden die Wellen teilweise wieder zurückgeworfen. Durch diese Reflektion bildet sich eine stehende Welle in der Posaune, die im Instrument eine Resonanz erzeugt und es vibrieren lässt. Im Ergebnis werden Töne aus dem Schallstück freigesetzt.
Präzise Behutsamkeit

Genau für diesen wissenschaftlich stringenten Ablauf der Posaunenreplikation begann Empa-Materialforscher Martin Tuchschmid, eine Vielzahl von romantischen Posaunen zu untersuchen. Mit welchen Metallen und welchen Legierungen Instrumentenbauer vor 150 Jahren gearbeitet haben, ermittelte Tuchschmid vom Empa-Labor für Fügetechnologie und Korrosion anhand von 64 historischen Exemplaren der Musikinstrumentenmuseen Basel und Leipzig und aus privaten Sammlungen aus der Schweiz und aus Deutschland. Tuchschmid wandte hierzu eine Methode an, die für die Untersuchung von metallischen Werkstoffen im Bau und in der Industrie eingesetzt wird: die mobile energiedispersive Röntgenfluoreszenzspektrometrie. Da die Methode zerstörungsfrei ist, konnte der Materialforscher so bereits eine Vielzahl von Kunstwerken und Instrumenten analysieren, bei denen neben der Präzision auch besondere Behutsamkeit gefragt ist. Aus den Ergebnissen erstellte Tuchschmid einen erstaunlichen Materialkatalog. In diesem Lesebuch historischer Handwerkskunst sind die Legierungen der verwendeten Metallbleche aufgelistet. Zu lesen ist hier beispielsweise, dass die unterschiedlichen Teile der Posaune wie etwa Kranz, Schallstück oder Zug oft aus verschiedenen Materialen gearbeitet wurden. Unter den Materialien fanden sich vor allem goldgelbes Messing, die rötliche, kupferreiche Messinglegierung Tombak und Neusilber, eine Kupferlegierung mit Nickel und Zink. Ab und an ermittelte Tuchschmid auch chemische Komponenten, die man heute nicht mehr verwendet, etwa giftiges Arsen oder das Schwermetall Blei in den Mundstücken. «Die Analysen ähnelten einer archäologischen Ausgrabung», sagt Tuchschmid. «Bisher wusste man einfach nicht, was für Werkstoffe im historischen Blechblasinstrumentenbau verwendet wurden.» Mittels Ultraschall massen die Forscher zudem die Wanddicke der Instrumente. «Nahezu jedes Bauteil wurde unterschiedlich dick gefertigt», erklärt Adrian von Steiger von der Hochschule der Künste Bern. Was heute industriell gefertigt werden kann, entstand früher in Handarbeit. «Die Instrumentenbauer haben vor 150 Jahren die Bleche extrem dünn gehämmert - an manchen Stellen bis auf unter zwei Zehntel eines Millimeters», erklärt von Steiger.

Warm, dunkel, sanft
/documents/56164/11364807/Posaune+gluehen+para.jpg/86b4069c-eca1-4fa8-9342-b3f3d08dd3d8?t=1576228773653
Instrumentenbauer Rainer Egger aus Basel wählte basierend auf den Empa-Analysen und seiner Erfahrung die geeignetste Materialzusammensetzung aus und baute die alten Posaunen nach – und zwar in Handarbeit.

Instrumentenbauer Egger wählte basierend auf den Analysen und seiner Erfahrung die geeignetste Materialzusammensetzung aus und baute die alten Posaunen nach – ebenfalls in Handarbeit. Eggers Hypothese: Materialzusammensetzung und Verarbeitung haben einen deutlichen Einfluss auf den Klang. «Die Replikate der Romantischen Posaunen sollten daher wärmer, dunkler und sanfter klingen als moderne Instrumente», sagt Egger. Wissenschaftlich bewiesen wurde dies bisher indes nicht.

Physikalisch messbar sind diese Grössen bis zu einem gewissen Grad in Form von Schallfrequenzen und -amplituden. Damit der Klang der Posaune bei derartigen Experimenten nicht von der individuellen Spieltechnik eines Musikers beeinflusst wird, hat Egger gemeinsam mit den Experten der Empa-Abteilung Akustik/Lärmminderung in Dübendorf ein Gerät entwickelt, das die Luftsäule in der Posaune mit reproduzierbarer und kontrollierter Intensität anregt. Damit der «künstliche Spieler» die Posaunen aber auch entsprechend der realen Benutzung des Instruments anregt, ermittelten die Akustik-Forscher zunächst die relevanten Druckschwankungen, die ein Musiker beim Spielen im Mundstück erzeugt. Hierzu versahen sie Mundstücke von Blechblasinstrumenten mit Drucksensoren und liessen zahlreiche Orchestermusiker, darunter auch Militärmusiker der Schweizer Armee, unterschiedlich laut und in verschiedenen Tonlagen spielen.

Düsenjet im Mundstück
/documents/56164/11364807/Posaune_para_Zemp/f81a07dc-74ea-4ecf-9855-ca8bc8d99343?t=1576589085677
Empa-Forscher Armin Zemp (links) und Gwenael Hannema analysieren den Klang der Replikate und der historischen Originale in einem speziellen reflexionsarmen Labor mittels «Scanning Laser Doppler Vibrometer». Zur Analyse des Instrumentenklangs wurde eigens ein «künstlicher Spieler» entwickelt. Das Gerät regt die Luftsäule in der Posaune reproduzierbar und kontrolliert an. So können verschiedene Exemplare objektiv verglichen werden.

Aufgezeichnet wurden Schalldruckwellen von bis zu 160 Dezibel, was weit über der Schmerzgrenze des menschlichen Ohrs von 130 Dezibel liegt. Im Mundstück der Posaune startet quasi ein Düsenjet oder zündet eine Explosion. Dass am Ende des Instruments sanftere Töne erklingen, liegt unter anderem an seinem schlechten Wirkungsgrad: Nur rund 100 Dezibel verlassen die Posaune am Ende wieder in Form von Musik.

In den Empa-Labors spielte der nun geeichte künstliche Bläser schliesslich auf verschiedenen Posaunen. Armin Zemp, Bart von Damme, Benjamin Morin und Gwenael Hannema analysierten den Klang der ersten Replikate und der historischen Originale in einem speziellen reflexionsarmen Labor, das den austretenden Schall nicht auf das Instrument zurückwirft. Wie das Material beim Spielen reagierte, ermittelten die Forscher mittels «Scanning Laser Doppler Vibrometer». Zusätzlich simulierten sie die Wechselwirkung der Schallwellen mit den Wänden des Instruments am Computer. Fazit der Untersuchungen: Materialzusammensetzung, Fertigungstechnik und Design des Instruments haben einen deutlichen Einfluss auf den Klang und die Strukturdynamik der Posaune «Wir konnten erstmals eindeutig beweisen, dass die stehenden Schallwellen in Blechblasinstrumenten und das Material auf Grund von Resonanzen in Wechselwirkung treten, wodurch die Spielbarkeit und der Klang deutlich beeinflusst werden», erklärt Armin Zemp.

Doch nicht nur das; die Analysen ergaben auch Hinweise für den Instrumentenbau, etwa die ideale Position für die Querverstrebungen sowie Vorgaben für die thermische Behandlung des Materials. «Wird das Blech geglüht, bauen sich interne Spannungen ab. Im Klang wird die Posaune dadurch deutlich weicher, da sich das Schwingungsverhalten des Materials ändert», erklärt der Akustikforscher. Bezüglich Materialzusammensetzung ergaben die Analysen, dass härtere Legierungen mit einem höheren Zink- und Nickelanteil Instrumente mit grösserer Schallleistung ergeben. «Der Gesamtklang einer Posaune wird von vielen einzelnen Komponenten beeinflusst. Die neuen Daten können jetzt in den historisch informierten Instrumentenbau einfliessen», so Zemp.

Ziel ist es, mit perfekten Replikaten den typischen historischen Klang zu generieren. Dass diese knifflige Aufgabe gelingen kann, zeigen erste Reaktion von Fachleuchten. Ian Bousfield, Dozent für Posaune an der Hochschule der Künste in Bern, hatte bereits Gelegenheit, die ersten Replikate auf Konzerten mit dem Sinfonieorchester Biel Solothurn zu spielen. «Das Publikum fand, dass die Replikate manchmal sogar ausdrucksstärker klingen als das Original», sagt der Posaunenprofessor. Er sei zunächst skeptisch gewesen, ob sich die Qualität einer legendären Romantischen Posaune neu erzeugen lasse. «Nach den Analysen der Replikate bin ich mir jedoch sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind.»

«Die Replikate bleiben dem historischen Klang treu»
/documents/56164/11364807/Posaune+ian+bousfield_para.jpg/f93cf099-8099-4727-8aad-0298b2650b10?t=1576228738233
Ian Bousfield. Bild: Timothy Ellis

Kompositionen mit den Originalinstrumenten aus der passenden Epoche zu spielen, liegt im Trend. Im Gespräch erläutert Ian Bousfield, Dozent für Posaune an der Hochschule der Künste in Bern, was für ihn der Zugang zu nachgebauten Instrumenten mit historischem Klang bedeutet.

Warum ist es für Musiker interessant auf historischen Instrumenten zu spielen?
Wenn man sich fragt, wie das Leben zu einer anderen Zeit war, kann man sich die Geschichte anhand von Texten und Gegenständen stückchenweise zusammensetzen. Mit historischen Instrumenten bekommen wir aber noch einen weiteren Eindruck aus der Geschichte, nämlich deren Klang. Ausserdem können wir so auch lernen, wie sich Brahms, Bruckner oder Mahler ihre Musik vorgestellt haben, als sie ihre Kompositionen basierend auf dem damaligen Klang der Instrumente anfertigten. Und letztlich ergibt sich aus den historischen Informationen ein Respekt für den Weg, den die Musik über die Jahrhunderte gegangen ist und ein besseres Verständnis, wie sie sich bis heute entwickeln konnte.

Sie haben auf 52 historischen Originalen und auf den Replikaten aus dem Forschungsprojekt «The Sound of Brass» gespielt. Was ist Ihr Eindruck?
Als erstes mussten wir ermitteln, was den Klang der Deutschen Romantischen Posaune überhaupt definiert. Und schliesslich sollte eine moderne Interpretation dieses Klangs in neuen Instrumenten erstehen. Das ist nicht einfach, da die Originale seit 150 Jahren gespielt wurden, bestimmte Gebrauchsspuren hatten und eine eigene "Persönlichkeit" entwickelt hatten. Zudem sind die Erwartungen heutiger Musiker ganz anders. Früher haben Musiker für verschiedene Tonhöhen verschiedene Instrumente verwendet, also Alt-, Tenor- und Bass-Posaune. Heute hat man den Anspruch an das Instrument, dass es das komplette Register der drei Posaunen erzeugen soll. Deshalb ist es schwierig, einen Vergleich zu ziehen. Trotzdem ist mein Eindruck: Die Replikate bleiben dem historischen Klang treu.

Für welche Musiker sind diese Replikate geeignet?
Ich persönlich finde es enorm wichtig, dass junge Musiker und Musikerinnen Zugang zu solchen Instrumenten bekommen, damit sie eine eigene Vorstellung vom Klang der Romantik entwickeln können. Zudem sind die Replikate interessant für Profi-Musiker, die in einem Orchester spielen, das einen bestimmten Klang erzeugen möchte. Ich weiss, dass die Romantische Posaune für viele Orchester ein gesuchtes Instrument ist. Und jetzt wird es authentische und stabile Replikate geben, die diesem traditionellen Klang entsprechen.

Das Gespräch führte Dr. Adrian von Steiger von der Hochschule der Künste Bern und Projektleiter "The Sound of Brass"

Geplante Obsoleszenz

Eingebautes Ablaufdatum?

Ob Handy oder automatische WC-Spülung – elektronische Geräte werden immer komplexer. Und wer kennt nicht Geschichten von Geräten, die just nach Ablauf der Garantie den Geist aufgeben? Die kürzere Lebensdauer ist laut Empa-Forscher Peter Jacob aber keine bösartig geplante Obsoleszenz, sondern hauptsächlich einem enormen Kostendruck geschuldet. Jacob und sein Team gehen Schadensfällen mit detektivischer Akribie nach. Mehr.

Analyse von mehrschichtigem Gewebe

Im Geheimdienst Ihrer Medizin

Ob eine Wunde unter einem Verband gut verheilt, lässt sich von aussen nicht erkennen. Empa-Forscher ermöglichen nun den Blick durchs Pflaster à la James Bond. Die verfeinerte Anwendung von Terahertz-Strahlung könnte im medizinischen Bereich die Analyse mehrschichtiger Gewebe voranbringen und bei der Wundbehandlung oder der Diagnostik von Blutgefässablagerungen zum Einsatz kommen. Mehr.

Orthopädische Schrauben aus Magnesium

Die lösliche Schraube

Wo Knochen bersten, müssen Chirurgen die Bruchstücke mit Implantaten zusammenfügen. Orthopädische Schrauben aus Magnesium, die sich mit der Zeit im Körper auflösen, ersparen Patienten eine weitere Operation nach der Heilung und mindern das Infektionsrisiko. Was mit derartigen Implantaten im Körper passiert, ist indes weitgehend unbekannt. Empa-Forscher analysieren die Korrosionsmechanismen von Magnesium, um optimale Legierungen und orthopädische Schrauben mit funktionalisierten Oberflächen zu entwickeln. Mehr.

Quick Access

Lesen Sie das neuste Empa Quarterly!