Leiterin der Abteilung "Urban Energy Systems"

Architektin der Energie

12.02.2019 | KARIN WEINMANN
Interdisziplinär, vernetzt und auf eine nachhaltige Zukunft ausgerichtet: Dies beschreibt Kristina Orehounig ebenso treffend wie die Empa-Forschungsabteilung «Urban Energy Systems», die sie seit Februar 2018 leitet. Sie hat einen ungewöhnlichen Weg zu ihrer heutigen Wissenschaftsdisziplin gewählt – doch gerade das sieht sie als Vorteil in ihrem Forschungsalltag.
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Kristina Orehounig leitet seit Februar 2018 die Forschungsabteilung «Urban Energy Systems» an der Empa. Zuvor war sie Forscherin und Dozentin an der ETH Zürich. Bild: Empa
Die Technik im Fokus: Schon während ihres Architekturstudiums in Wien hat es Kristina Orehounig zu den technischen Aspekten des Bauens hingezogen, vor allem die Bauphysik faszinierte sie. Trotzdem bereut sie es keineswegs, dass ihre Ausbildung nicht ganz gradlinig verlaufen ist, bevor sie in der Simulation von Energiesystemen ihr berufliches Zuhause gefunden hat: «Als Architektin bin ich in gewissen Denkweisen freier. Man lernt, ganzheitlich zu denken und auch auf den ersten Blick vielleicht utopische wirkende Ideen weiterzuverfolgen, um auf Lösungen zu kommen», erklärt sie.
Das grosse Ganze im Blick

Angefangen hat Kristina Orehounig mit der Simulation einzelner Gebäude. «Es wurde mir aber schnell klar, dass es nicht reicht, ein Gebäude isoliert zu betrachten.» Deshalb weitete Sie ihren Fokus auf die Rahmenbedingungen aus. Dazu gehört etwa das Mikroklima, das ein Gebäude umgibt. Von einzelnen Gebäuden ging sie weiter zu Arealen und Quartieren, bis sie schliesslich bei ­ganzen Städten landete. «Zum Glück liegt mir das vernetzte Denken – mir gefällt die Herausforderung, das grosse Ganze im Blick zu behalten und dennoch an einzelnen zentralen Stellen in die Tiefe der Materie zu tauchen.»

Nach sechs Jahren als Forscherin und Dozentin an der ETH Zürich leitet Orehounig seit Februar 2018 die Forschungsabteilung «Urban Energy Systems» an der Empa. Deren Name ist Programm: Die Abteilung forscht an vernetzten Energiesystemen mit dem Ziel, den Energiebedarf und den CO2-Ausstoss von Gebäuden und Quartieren massiv zu senken. Dafür arbeiten mehr als 20 Forschende aus unterschiedlichen Disziplinen zusammen: Vertreten sind die Bauingenieurswissenschaften, Maschinenbau, Elektrotechnik, Architektur, Umwelttechnik und das relativ neue Feld «Industrial Ecology», das sich mit Material- und Energieflüssen durch Industriesysteme beschäftigt.

Man spürt bei Orehounig die Begeisterung für Energiethemen – und für Forschung generell. Bleibt neben den Managementaufgaben, die das Leiten einer Forschungsgruppe so mit sich bringt, dafür genug Zeit? «Ehrlich gesagt, zu Beginn befürchtete ich, dass der Managementteil zu gross wird. Aber zum Glück herrscht in der Gruppe ein toller Teamgeist – obwohl wir erst kürzlich mehrere Labs zusammengeführt haben. Jeder hat seinen Bereich, in dem er oder sie Experte ist, und gleichzeitig sind alle Teammitglieder sehr offen. So entstand ein tolles interdisziplinäres Team, das hervorragend zusammenarbeitet.» Dadurch schafft sie es sogar, an der ETH Zürich weiterhin Vorlesungen für das Master-Programm «Integrated Building Systems» zu halten. Dieses hat sie während ihrer Zeit an der ETH mit aufgebaut und koordiniert.

Von der Simulation zur Realität

Energiesysteme von Gebäuden, Quartieren und Städten zu simulieren, klingt auf den ersten Blick etwas abstrakt. Doch wenn man Orehounig zuhört, merkt man schnell, dass die Forschenden sich mit sehr reellen – und dringenden – Herausforderungen beschäftigen. Denn der Energiebedarf von Gebäuden macht mehr als 40% des Gesamtenergiebedarfs in der Schweiz aus – und das muss sich laut der Schweizer Energiestrategie 2050 ändern. Und zwar massiv: Das «Swiss Competence Center for Energy Research on Future Energy-Efficient Buildings & Districts» (SCCER FEEB&D), das unter der Leitung derAbteilung «Urban Energy Systems» steht, hat sich zum Ziel gesetzt, den ökologischen Fussabdruck von Gebäuden in der Schweiz bis zum Jahr 2035 um den Faktor 3 zu senken.

Dazu arbeitet Orehounigs Team gemeinsam mit Städten und Gemeinden an Energiekonzepten, bei denen die Forschenden mit ihren Simulationen helfen können, konkrete Fragestellungen zu klären. Etwa: Lohnt es sich noch, ein Gasnetz zu betreiben? Wäre ein thermisches Netz nicht sinnvoller? Oder doch eine Kombination von beiden? «Uns erreichen viele Anfragen für solche Projekte», erzählt Orehounig. Um alle zu bearbeiten, fehlt aber die Kapazität – auch wenn geplant ist, das Team auf 30 Personen auszubauen. 

Bei der Auswahl der Projekte achten wir darauf, ob es unsere Forschung voranbringt, ob wir auf eine neue spannende Fragestellung treffen. Unser wichtigstes Forschungsziel ist, die von uns entwickelte Simulationsplattform hochzuskalieren: Im Moment simulieren wir hauptsächlich Quartiere, in Zukunft sollen es ganze Städte sein.»

Die Plattform soll bald den Sprung von der Forschung in die Industrie schaffen – dafür soll ein neues Start-up entstehen, das es Energieunternehmen und Ingenieurbüros ermöglicht, mit den Modellierungstools der Empa Energiesysteme für ganze Quartiere zu entwerfen und zu optimieren.

Und es geht noch realer. Orehounig: «Der ‹Energy Hub›, kurz ehub, im NEST ermöglicht es, zumindest einen Teil unserer Forschungsarbeit an einem echten Quartier zu verifizieren – und natürlich auch sichtbar zu machen.» Das sei zudem ein wesentlicher Punkt für ihre Forschungspartner: «Die meisten wünschen sich, ein Projekt unter Einbezug des ehub durchzuführen – und damit zu demonstrieren, was in der realen Welt alles möglich ist.»

Globale Auswirkungen erwünscht

Nach knapp einem Jahr als Abteilungsleiterin hat sich Orehounig inzwischen gut eingelebt – und schmiedet bereits Pläne für die Zukunft: «Neben der Skalierung unserer Modelle ist Big Data ein wichtiges Stichwort. Wir wollen mehr messen – etwa mit Smart-Metern, also intelligenten Stromzählern. Diese Daten und die Simulationen wollen wir zusammenbringen. Ein weiteres Ziel ist es, die Mobilität einzubeziehen, etwa durch move, die Empa-Demonstrationsplattform für nachhaltige Mobilität. Eine Möglichkeit ist beispielsweise, Elektrofahrzeuge als Zwischenspeicher für Solarstrom zu nutzen.»

Eine Doktorandin arbeitet ausserdem bereits an einem Ziel, dass Orehounig besonders am Herzen liegt: Entwicklungsländern eine Zukunft mit erneuerbarer Energie zu ermöglichen. «Mir ist die globale Wirkung unserer Forschung ein wichtiges Anliegen. Gerade in Entwicklungsländern liegt ein grosses Potenzial: Wird der dort rasant steigende Energieverbrauch mit fossiler Energie gedeckt, dann haben wir keine Chance, den Klimawandel aufzuhalten. Hier können unsere Tools helfen, den künftigen Verbrauch vorauszu-sagen und eine langfristige nachhaltige Planung zu realisieren.»

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