Antrieb mit künstlichen Muskeln

Luftschiffe «schwimmen» in luftiger Höhe

31.01.2007 | MANUEL MARTIN

Herkömmliche, mit Propeller angetriebene Luftschiffe haben Nachteile. So weisen sie einen schlechten Wirkungsgrad aus, vergeuden also Energie, und sind laut. Empa-Forscher wollen diese Probleme mit einer so simplen wie technisch anspruchsvollen Technologie lösen: Sie lassen ihr Luftschiff wie eine Forelle im Wasser sozusagen durch die Lüfte «schwimmen». Dass dies dank elektroaktiver Polymere (EAP) bald Realität werden könnte, zeigen erste Flugversuche sowie Computersimulationen. Noch müssen die EAP-Aktoren allerdings weiterentwickelt und langlebiger bzw. zuverlässiger gemacht werden.

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Legende: Die ETH Zürich animiert die Forellenbewegung mit dem Computer und gibt den Empa-Forschern dadurch Hinweise auf das aerodynamische Verhalten.

 

Möglichst wendige, leise und sparsame Luftschiffe könnten in entsprechender Höhe so manchen Job erledigen, etwa Überwachungs- und Fernerkundungsaufgaben durchführen, als aerostatische Kommunikationsplattformen dienen oder gar ein attraktiver Werbeträger sein. Herkömmliche Luftschiffe haben allerdings einen schlechten Wirkungsgrad, da sie mit Propellern angetrieben werden. Und dabei gilt: Je grösser der Auftriebs- bzw. Flugkörper des Luftschiffes, desto schneller muss sich der Propeller drehen, um den Luftwiderstand während des Fluges zu überwinden. Der Drehzahl und dem Blattdurchmesser des Propellers sind jedoch durch die Schallgeschwindigkeit Grenzen gesetzt. Einerseits kann die Leistung des Antriebs nicht beliebig gesteigert werden. Drehen sich andererseits die Propeller am äusseren Blattende schneller als Schallgeschwindigkeit, ist das so genannte «Helikopterknattern» zu hören. Sprich, es entstehen Stosswellen, welche das Blattende flattern lassen und dabei einen enormen Lärm verursachen – sowie gleichzeitig den Wirkungsgrad weiter senken.

 
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Indem die Forelle den Rumpf biegt und zugleich die Schwanzflosse in die entgegengesetzte Richtung schlägt, bewegt sie sich mit minimalem Widerstand vorwärts.
 

Schwimmen wie eine Forelle – aber in der Luft

Wenn sich die (patentierte) Idee der Empa-Forscher um Silvain Michel durchsetzt, dann gleitet das Luftschiff der Zukunft «schwimmend» durch die Lüfte – lautlos wie eine Forelle im Wasser; indem sie den Rumpf biegt und zugleich die Schwanzflosse in die entgegen gesetzte Richtung dreht. Die technisch vereinfachte Version der Forellenbewegung auf drei starre, miteinander verbundene Körpersegmente nennt sich im Fachjargon «Biege-Drehschlag», sagt Michel.

 
Und er erklärt: «Dieser kann eins zu eins vom Wasser auf die Luft übertragen werden. Denn egal ob Fisch im Wasser oder Luftschiff in der Luft, beide bewegen sich – physikalisch betrachtet – in einem Fluid und unterliegen daher denselben fluiddynamischen Gesetzmässigkeiten.» Diese Antriebsweise, kombiniert mit einer schlanken forellenähnlichen Form, verdoppelt aus aerodynamischer Sicht den Wirkungsgrad.
 
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Die EAP verschmelzen an vier Stellen mit der Luftschiffhülle. Werden sie aktiviert bzw. dehnen sie sich aus, kann der Auftriebskörper den «Biege-Drehschlag» – die technisch vereinfachte Form der Forellenbewegung im Wasser – imitieren.
 

Antrieb und Hülle verschmelzen

Geradezu prädestiniert für einen dem Flossenschlag der Fische nachempfundenen Luftschiffantrieb sind elektroaktive Polymere (EAP), welche die Empa unter anderem für den Einsatz als künstliche Muskeln erforscht. EAP bestehen aus elastischen Polymerfolien, die durch das Anlegen einer elektrischen Spannung und den dadurch entstehenden Druck senkrecht zur Fläche gequetscht werden und sich dadurch flächig ausdehnen müssen (s. Kasten). Egal, ob diese Verformung dazu benutzt wird, ein Luftschiff anzutreiben, Objekte zu verschieben oder beschädigte Muskeln zu ersetzen, es geschieht lautlos und (energie-) effizient. EAP erreichen einen Wirkungsgrad bis zu 70 Prozent, weil sie elektrische Energie direkt in mechanische Arbeit umwandeln – und nicht via Motor plus Getriebe.

 

Zum Vergleich: Ein Verbrennungsmotor erreicht – bezogen auf den Antrieb – einen Wirkungsgrad von gerade mal 25 bis 30 Prozent. Indem EAP beim Empa-Luftschiff als Teil der Hülle fungieren, verschmilzt sozusagen der «Motor samt Getriebe» mit dem Körper des Luftschiffs, wie Michel es ausdrückt. Auch lässt sich mit diesem Antrieb ausgezeichnet manövrieren; die Forelle macht’s vor. Und zu guter Letzt erweist sich für die Energieversorgung von Vorteil, was beim Fortbewegen eher stört: Eine grosse Luftschiffhülle bietet an der Oberseite genügend Fläche für flexible Solarzellen – und damit für die notwendige Energiegewinnung.

 
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In ersten Tests mit vereinfachten Modellen bewegen EAP-Aktoren die Ruder.
 

Fliegende Funkmasten?

Prallluftschiffe können also theoretisch nach dem Vorbild der Natur angetrieben werden; praktisch machbar ist dies dank EAP-Technologie ebenfalls: Experimente der Empa-Forscher zeigen, dass die für den Antrieb notwendigen Verformungen und Kräfte erreicht werden. Ausserdem muss sich die Luftschiffhülle bei den zwei gegenläufig schwingenden Biegebewegungen – beim «Biege-Drehschlag» – um rund 15 Prozent dehnen – ein Wert, denn EAP ohne weiteres erreichen.

 
Dennoch gibt es in den Forschungslabors der Empa noch einiges zu tun, weiss Michel: «Als nächstes gilt es für uns, eine konstruktive Lösung zu entwickeln, welche gleichzeitig die aerostatischen, aerodynamischen und strukturmechanischen Anforderungen erfüllt». Dazu müssen die Empa-Wissenschaftler die Lebensdauer der EAP-Aktoren verlängern. Erst wenn die EAP zuverlässig über einen längeren Zeitraum funktionieren, könnten Satelliten oder knatternde Helikopter durch mit EAP angetriebene Luftschiffe ersetzt werden; etwa um Tiere lautlos in ihrem natürlichen Habitat zu beobachten, als Träger für Fernsehausrüstung zur Übertragung von Sportveranstaltungen, oder auch als Kommunikationsplattform, sozusagen als schwebender Funkmast für die Mobiltelefonie.
 

Fachliche Informationen
Silvain Michel, Abt. Materials and Engineering, Tel. +41 44 823 45 88, , www.empa.ch/eap

Redaktion
Manuel Martin, Abt. Kommunikation, Tel. +41 44 823 49 09,

 
 
 

Wie funktionieren elektroaktive Polymere (EAP)?

EAP können elektrische Energie direkt in mechanische Arbeit umwandeln, indem elastische Polymerfolien ihre Form unter dem Einfluss eines elektrischen Felds ändern: Sie dehnen sich aus beziehungsweise ziehen sich ohne Spannung wieder zusammen. Dazu werden die Folien auf beiden Seiten mit elektrisch leitendem Graphit beschichtet. An die möglichst dünnen Graphitschichten wird eine elektrische Spannung angelegt, was einem nachgiebigen elektrischen Kondensator entspricht. Die zwischen ihnen entstehenden elektrostatischen Kräfte quetschen das Polymer senkrecht zur Fläche, wodurch es sich in der Fläche ausdehnen muss.