Zum Inhalt wechseln

KI für das Energiemanagement im Haus

Hamsternde Häuschen

04.03.2021 | RAINER KLOSE

Das Energiemanagement in einem Haus mit Solaranlage wird immer komplexer: Wann stelle ich die Heizung an, damit es abends angenehm warm ist? Wieviel Strom darf der Heisswasserspeicher aufnehmen? Reicht die Energie dann noch fürs Elektroauto? Künstliche Intelligenz kann da helfen: Forschende der Empa haben eine KI-Steuerung entwickelt, die all diese Aufgaben selbständig erlernen kann – und dabei mehr als 25 Prozent Energie einspart.

/documents/56164/15698147/EQ70+Batterie+stopper.jpg/dadeb538-91da-43c3-9c02-7125602b110e?t=1610126535857
Ist die warme Wohnstube wichtiger oder das voll geladene Elektroauto? Ein denkendes Haus schafft beides. Bild: istock

Wie waren die alten Zeiten einfach: Im Frühjahr, wenn die Heizölpreise sanken, hat man die Tanks im Keller einfach randvoll gefüllt. Dann war man bis zur nächsten Saison alle Sorgen los. Auch fürs Auto gab es Sprit an jeder Ecke. Rund um die Uhr. Volltanken, weiterfahren fertig.

Der Ausstieg aus der fossilen Wirtschaft macht es für Sparfüchse deutlich schwerer. Nun ändern sich die Energiepreise nicht mehr jährlich, sondern stündlich. Solarstrom gibt’s zur Mittagszeit im Überfluss – am Abend liefert die tiefstehende Sonne kaum noch Energie, gleichzeitig lassen heimkehrende Arbeitspendler den Strombedarf in Stadt und Land rapide ansteigen. Der Effekt ist auf Verbrauchsgrafiken so deutlich zu sehen, dass Wissenschaftler ihm einen eigenen Namen gegeben haben: «Duck-Curve» (Entenkurve). Wenn die Ente ihr Haupt erhebt, wird es teuer für alle, die nun Strom beziehen müssen.

Beim Energie-beziehen auf die Uhr schauen wäre also wichtig für Elektroautofahrer und Hausbesitzer. Wer günstig und zugleich umweltschonend die verfügbare erneuerbare Energie nutzen will, kann sich in Zukunft nicht mehr auf fest installierte Thermostate und manuell betätigte Knöpfe verlassen.

Ein vielschichtiges Problem

Bratislav Svetozarevic, forscht im «Urban Energy Systems»-Labor an der Empa und hat das Problem erkannt. Gefragt ist eine automatische Steuerung, die Energie zu günstigen Tageszeiten hamstert und für teure Tageszeiten nutzbar macht. Als Speicher könnte zum Beispiel die Antriebsbatterie des eigenen Autos dienen, das in der Garage an der Ladestation hängt. Doch Svetozarevic hat mit einem vielschichtigen Problem zu tun: Jedes Haus ist anders, und seine Bewohner sind es auch. Je nach Wetter und Jahreszeit ändert sich zudem die Stromerzeugung der Solaranlagen, sowie der Bedarf an Heiz- oder Kühlleistung. Eine optimale Energiesteuerung muss also den Tagesrhythmus eines Hauses und seiner Bewohner erlernen – und sollte auch während des Betriebs flexibel reagieren können, etwa wenn ein Wetterumschwung alle Kalkulationen umwirft.

/documents/56164/15698147/eq70+Batterie+Grafik+DE/356a6cd2-d86a-447a-a4ac-dcb945966fe1?t=1611664509607
Die KI-Steuerung der Empa verteilt Strom aus Solarkollektoren auf optimale Weise. Sie braucht nicht programmiert zu werden, sondern «erlernt» mittels künstlicher Intelligenz die Bedürfnisse der Bewohner und passt sich an Tages- und Jahreszeiten an. Sie kann für Gebäude verschiedenster Art und Grösse eingesetzt werden. Bei der Verteilung der Energie hat der Wärmekomfort der Bewohner oberste Priorität. Die Batterie des Elektroautos wird als Zwischenspeicher genutzt und und muss am Morgen genügend Reichweite für die erste Fahrtstrecke des Tages bieten. Netzstrom wird dann eingekauft, wenn er besonders preisgünstig ist.
Schritt eins: die Theorie

Die Lösung für solche Probleme ist Künstliche Intelligenz. Der Empa-Forscher entwarf eine KI-Steuerung die auf dem  Reinforcement Learning Prinzip basiert. Wenn das System «richtig» agiert, erhält es eine «Belohnung». Allmählich perfektioniert die Steuerung auf diese Weise ihr Verhalten.

Zunächst wurde die Steuerung nur am Computer simuliert. Die Vorgaben: Ein bestimmter Raum in einem Gebäude musste elektrisch auf die gewünschte Temperatur geheizt werden und diese halten. Zugleich musste das System ein Elektroauto mit Strom versorgen, das morgens um 7.00 Uhr zu mindestens 60 Prozent geladen sein sollte und auf die Reise geht. Abends um 17.00 Uhr kehrt das Elektroauto mit einer Restladung zur Ladestation zurück und kann während der Nachtstunden auch Strom ins Haus zurückliefern. Die Steuerung wurde mit Wetterdaten und Raumtemperaturen aus dem vergangenen Jahr gefüttert und musste mit zwei Stromtarifen zu Recht kommen: teurer Strom am Tag zwischen 8.00 Uhr und 20.00 Uhr, billiger Strom während der Nachtstunden.

Das Ergebnis war verblüffend: die selbstlernende Steuerung sparte gegenüber einer fest programmierten Lösung rund 16 Prozent Energie ein und hielt im Theorieversuch auch die gewünschte Raumtemperatur deutlich exakter ein.

Schritt zwei: Test im realen Gebäude
/documents/56164/15698147/EQ70+Batterie+para.jpg/dd624ec2-7509-4736-8168-1965d8bdd748?t=1610126535507
In der NEST-Unit DFAB House steuerte der KI-Algorithmus eine Woche lang die Temperatur eines Studentenzimmers. Bild: Nicolas Zonvi

Nun musste die Steuerung den Test in der Wirklichkeit bestehen. Svetozarevic nutzte dazu NEST auf dem Empa-Campus. In der Unit DFAB House steuerte der KI-Algorithmus eine Woche lang die Temperatur eines Raumes. Zugleich wurde die 100 kWh-grosse Speicherbatterie im NEST genutzt, um die Batterie des Elektroautos zu simulieren. Diesmal fiel das Ergebnis noch deutlicher aus: In einer kühlen Woche im Februar 2020 sparte die KI-Steuerung 27 Prozent Heizenergie ein, im Vergleich zum benachbarten Studentenzimmer, dessen Heizung mit einer fest programmierten (regelbasierten) Steuerung betrieben wurde.

«Das Schöne an unserer selbstlernenden KI-Steuerung ist, dass man sie nicht nur im Forschungsgebäude NEST, sondern auch jedem anderen Gebäude einsetzen kann», sagt Bratislav Svetozarevic. «Es braucht keinen Ingenieur, der die Steuerung programmiert, und niemanden, der das Haus zuvor analysiert und eine massgeschneiderte Lösung errechnet.»

Wohlige Wärme auf sparsame Art
/documents/56164/15698147/EQ+70+Batterie+para.jpg/f9493f6f-8f1b-47b5-8118-1ae6b294aa24?t=1610126535160
Bundespräsident Guy Parmelin eröffnete 2019 das DFAB-House. Nun diente eines der Zimmer als Forschungsobjekt. Bild: Nicholas Zonvi

In einem nächsten Schritt wollen Svetozarevic und seine Kolleginnen und Kollegen nun ermitteln, wie sich das System von einem Raum auf grössere Gebäude erweitern lässt. «Wir haben in unserem ersten Experiment einen typischen Haushalt der Zukunft abbilden wollen», sagt der Empa-Forscher. Der Einfachheit halber hat sich das Team aufs Heizen und Fahrzeugladen beschränkt. Die Arbeit legt jedoch die Basis für deutlich mehr. Svetozarevic ist sich sicher: «Unsere KI-Steuerung kommt auch dann noch zurecht, wenn eine Photovoltaik-Anlage Strom liefert, eine Wärmepumpe und ein lokaler Heisswasserspeicher bedient werden muss – und sich die Komfortansprüche der Bewohner immer wieder ändern.»

Um das KI-System in Zukunft für eine optimale Energieversorgung nutzen zu können, ist allerdings eine neue Generation Elektroautos nötig. Die heute üblichen, europäischen und US-Modelle mit dem CCS-Schnelladeanschluss können nur Strom tanken, jedoch keinen liefern. Japanische Autos mit Chademo-Stecker sind dagegen fürs sogenannte bidirektionale Laden ausgelegt. Der koreanische Konzern Hyundai kündigte im Dezember an, seine neue Elektroauto-Plattform E-GMP ebenfalls für bidirektionales Laden auszurüsten. Damit könnten Elektroautos langfristig beim Energiesparen helfen und zugleich das Elektrizitätsnetz stabilisieren.

Mehr Informationen zum Thema finden Sie unter: www.empa.ch/web/energy-hub


Redaktion / Medienkontakt
Rainer Klose
Kommunikation
Tel. +41 58 765 47 33


Literatur

B Svetozarevic, C Baumann, S Muntwiler, L Di Natale, P Heer, M Zeilinger; Data-driven MIMO control of room temperature and bidirectional EV charging using deep reinforcement learning: simulation and experiments; https://arxiv.org/abs/2103.01886


Follow us
 
Hochleistungskeramik

Geballte Ladung gegen Wasserkeime

Krankheitserreger aus dem Trinkwasser zu entfernen, ist dann besonders schwierig, wenn die Keime zu winzig sind, um von herkömmlichen Filtern abgefangen zu werden. Forscherteams der Empa und der Eawag entwickeln neue Materialien und Prozesse, mit denen sich Wasser von hartnäckigen Kleinsterregern wie Viren befreien lässt. (Bild: Sena Yüzbasi / Empa).
>>>>

Materialforschung

Strom aus dem Parkett

Forscher der Empa und der ETH Zürich haben Holz biegsam gemacht und in einen Mikro-Generator verwandelt. Wenn es belastet wird, entsteht elektrische Spannung. So kann das Holz als Bio-Sensor dienen – oder nutzbare Energie erzeugen. (Bild: istock).
>>>> 

Biotechnologie

Das schwarze Gold der Pilze

Empa-Forschenden ist es gelungen, das Pigment Melanin in grossen Mengen aus Pilzen zu gewinnen. Der gigantische Hallimasch-Pilz im Dienste der Wissenschaft gehört zu den grössten Lebewesen der Welt. Die Anwendungen des «schwarzen Goldes» reichen von Holzschutzmitteln bis zum Bau von Musikinstrumenten und Wasserfiltern. (Bild: Empa).
>>>>

Quick Access

Lesen Sie das neuste Empa Quarterly!