Nano-Dialog über die Grenzen von Disziplinen hinweg

Wer Nano will, muss sich Gedanken machen

06.07.2006 | MARTINA PETER

Die Empa hatte am Freitag, dem 23. Juni, erstmalig zur NanoConvention eingeladen. Rund 200 «Nano-Interessierte» sind der Einladung gefolgt, um im Kursaal Bern über die «Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts» und deren Auswirkungen auf Wissenschaft, Wirtschaft, Gesundheit, Umwelt und Gesellschaft zu diskutieren.

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Harald Krug, Don Eigler, Louis Schlapbach und Ortwin Renn (v.l.n.r.)

 

«Mit der NanoConvention wollen wir den Nano-Dialog in der Schweiz auch über Disziplinengrenzen hinweg in Gang bringen», sagte Empa-CEO Louis Schlapbach. «Daher war es uns wichtig, nicht nur Vertreterinnen und Vertreter der Schweizer Forschungsinstitutionen an Bord zu haben. Die treffen sich ohnehin regelmässig. Wir wollten auch Industrie, Versicherungs- und Finanzwesen, Politik, Verwaltung und Gesellschaft einbeziehen.» Dass dies gelungen ist, zeigte sich nicht nur am heterogenen Kreis der Teilnehmenden, sondern vor allem an den lebhaften Diskussionen und an den durchwegs positiven Reaktionen auf die Empa-Initiative. «Die Empa muss diesen Anlass unbedingt zu gegebener Zeit wiederholen», sagte etwa Hans-Joachim Güntherodt, Leiter des Nationalen Kompetenzzentrums «Nanoscale Science» an der Universität Basel.

Von Nano-Hysterien und anderen Krankheiten

Der Spannungsbogen zwischen den vollmundigen Versprechungen der Nano-Fanatiker und den Unkenrufen der Technoskeptiker war das zentrale Thema der NanoConvention. Oder zwischen «Nano-Hysterie Typ 1 und Nano-Hysterie Typ 2», wie es der Nanotech-Pionier Don Eigler vom kalifornischen IBM-Forschungszentrum Almaden ausdrückte. Beim Typ 1 handle es sich um durch Gier getriebene irrationale Überschwänglichkeit – unter anderem in der Finanzwelt; Typ 2 manifestiere sich als von Ängsten getriebene irrationale Paranoia. «Beide Krankheiten, die sich im psychologische Spektrum gegenüberliegen, haben dasselbe Problem: das Fehlen jeglichen kritischen Denkens», so Eigler, dessen Forschungsgruppe es 1989 gelang, einzelne Atome mit Hilfe eines selbst gebauten Rastertunnelmikroskops zu verschieben und zum Firmenlogo «IBM» anzuordnen.

Die Nanotechnologie hat einiges zu bieten; davon ist Eigler überzeugt. «Ich persönlich glaube, dass das Potenzial der Nanotechnologie überwältigend ist.» Die Nanotechnologie – einfach gesagt, die Manipulation der Materie auf molekularer Ebene – lässt neuartige Materialien mit völlig neuen Eigenschaften «massgeschneidert» entstehen. Ultradünne, kratzfeste Beschichtungen, Flachbildschirme aus Kohlenstoff-Nanoröhrchen oder neuartige, nicht löschbare magnetische Datenspeicher sind nur einige der Entwicklungen, die in der Nanowissenschaft ihren Ursprung haben.

Doch den Aussichten auf neue und verbesserte Eigenschaften von Werkstoffen dank Nanotechnologie stehen mögliche Risiken – vor allem von freien Nanopartikeln – entgegen. Wie verhalten sich Nanopartikel im menschlichen Organismus? Wie in der Umwelt? Und wie sollen Gesetzgeber, Arbeitgeber oder schlicht Konsumentinnen und Konsumenten mit den neuen Nanomaterialien umgehen? Wie reagiert die Gesellschaft auf diese technologische Herausforderung?

Den Graben zwischen Wissenschaft und Gesellschaft überbrücken

Der Anstoss, über diese Fragen nachzudenken, scheint zur rechten Zeit zu kommen; die Nanotechnologie steckt noch in den Kinderschuhen. Zwar gibt es bereits unzählige Produkte mit Nanopartikeln, doch sei dies erst der Anfang, betonten die Experten. Also genau der richtige Zeitpunkt, um etwaige Risiken zu identifizieren und zu erforschen. Dass dies notwendig sei für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Nanotechnologie, darüber herrschte am Anlass Einstimmigkeit. Andernfalls laufe die Forschung Gefahr, das Vertrauen der Bevölkerung zu verlieren.

«Ich hoffe, dass uns Wissenschaftlern die Kommunikation mit der Bevölkerung bei der Nanotechnologie besser gelingt als bei früheren Gelegenheiten», sagte Eigler. «Denn der Graben zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ist im besten Fall beunruhigend, im schlechtesten desaströs.» Vor einem Totschweigen der Nanotechnologie-Risiken warnte auch der Sozialwissenschaftler Ortwin Renn von der Universität Stuttgart. «Wenn die Diskussion nicht proaktiv geführt wird, taucht das Thema unweigerlich andernorts auf. Und dann beladen mit Halbwahrheiten.» Dies sei in der Vergangenheit bereits des Öfteren geschehen.

Für Don Eigler besteht das Risiko der Nanotechnologie vor allem darin, sie anzuwenden, ohne die Konsequenzen abzuwägen. «Das grossflächige Verteilen von Nanopartikeln in der Umwelt, obwohl deren toxikologische Auswirkungen unbekannt sind, ist so ein Fall.» Auf der anderen Seite könne es absolute Sicherheit niemals geben – und dies betreffe nicht nur die Nanotechnologie. «Es ist nahezu unmöglich zu beweisen, dass irgendetwas absolut sicher ist. Wir müssen einfach äusserst vorsichtig und sorgfältig vorgehen», mahnte Eigler. «Die Frage ist: Wie meistern wir als Gesellschaft die Herausforderung Nanotechnologie, dass wir deren Vorteile geniessen und gleichzeitig die Risiken minimieren?»

Die Schweiz darf den Anschluss nicht verpassen

Dass die Nanotechnologie sowohl wissenschaftlich als auch wirtschaftlich einiges verspricht – vor allem im «Life Science»-Bereich, also bei der Therapie von Krankheiten –, steht ausser Frage. Davon gelte es, auch in der Schweiz zu profitieren – wo immerhin am IBM-Forschungszentrum in Rüschlikon das Rastertunnelmikroskop, quasi der Schlüssel zum Nanokosmos, entwickelt wurde. «In der Schweiz braucht es auf dem Gebiet der Nanotechnologie nicht nur wissenschaftliche, sondern auch wirtschaftliche Erfolge», sagte Christoph Caviezel, Direktor der Förderagentur für Innovation KTI. Die KTI sei deshalb bereit, Nanotechnologie zu fördern, wo und wie sie nur könne. Caviezel warnte davor, sich vom Ausland die Karten aus der Hand nehmen zu lassen: «Wir müssen aufpassen, dass wir die Grundlagen, die wir erarbeitet haben, am Ende nicht wieder als Know-how teuer einkaufen müssen.»

Ein erstes Alarmzeichen sah Caviezel darin, dass der Schwung, der vom Forschungsprogramm TOP Nano 21 in den Jahren 2000 bis 2003 ausgelöst worden war, am Erlahmen sei: Noch 2003 hätte es 93 Forschungsanträge auf dem Gebiet der Nanotechnologie an die KTI gegeben, ein Jahr später nur noch 17. Derzeit seien Gespräche zwischen der KTI und dem Schweizer Nationalfonds im Gange, wie denn ein allfälliges Nachfolgeprojekt aussehen könnte. Dass ein solches dringend nötig wäre, darüber waren sich in Bern alle einig. Hans-Joachim Güntherodt dazu: «Es reicht nicht, die Anzahl der Projekte zu vergrössern. Was wir brauchen, ist ein koordiniertes Netzwerk.» Dem Basler Forscher schwebt ein Nanoprogramm vor, «an dem alle teilnehmen können: die Industrie, die Universitäten, der ETH-Bereich und die Fachhochschulen.»

Risiken der Nanotechnologie nicht nur auf einer Ebene angehen

Auch die möglichen Schattenseiten der Nanotechnologie kamen an der NanoConvention zur Sprache. Dabei konzentrieren sich Forscherinnen und Forscher derzeit vor allem auf die Untersuchung freier Nanopartikel. Harald Krug, Umwelttoxikologe am Forschungszentrum Karlsruhe, erforscht unter anderem den Transport von Nanopartikeln in die Zelle. Sein (vorläufiges) Fazit: «Aus allen bisherigen Studien gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Nanopartikel über gesunde, intakte Haut in den Organismus gelangen könnten. Die Haut bietet also einen guten Schutz vor Nanopartikeln.» Nicht so dagegen die Lunge. Über diese können die winzigen Partikel durchaus in den menschlichen Körper gelangen. Krug meinte denn auch: «Eingeatmete Nanopartikel bergen das grösste Gefahrenpotenzial für die Gesundheit.»

Denn über die Lunge können sich die Nanopartikel im ganzen Körper verteilen; dies belegen Studien der Gruppe um Peter Gehr vom Anatomischen Institut der Universität Bern. Über die Epithelzellen, die die Lunge auskleiden und die für den Sauerstoffaustausch zwischen Atemluft und dem Blutkreislauf sorgen, gelangen die Nanopartikel ins Blut. «Rote Blutzellen transportieren sie dann zu den verschiedensten Organen – ins Gehirn, in die Leber, ins Herz», erklärte Gehr.

An der Empa werden derweil die Auswirkungen verschiedener Nanopartikel auf Zellen in Zellkultur untersucht. Ziel ist es, ein schnelles Testverfahren zu entwickeln, das die Toxizität – die «Giftigkeit» – verschiedener Nanopartikel schnell und einfach abschätzen kann. Dabei stellten die Empa-Forscher um Arie Bruinink und Peter Wick fest, dass sich die Nanopartikel in ihrer Toxizität stark unterscheiden. Was toxische Nanopartikel in den Zellen genau auslösen, will das Empa-Team als nächstes untersuchen. Mit Hilfe so genannter Gen-Chips wollen Wick und Bruinink die Aktivität von Tausenden von Genen analysieren, um zu sehen, welches genetische Programm durch die verschiedenen Partikel ausgelöst wird.

Darüber, wie die Öffentlichkeit Risiken wahrnimmt, wurde ebenfalls lebhaft diskutiert. Denn die Risikowahrnehmung in der Gesellschaft beeinflusst den Innovationsprozess und ist daher ebenso wichtig wie die Risiken selbst. Die Versicherungsbranche, die unter anderem durch die Swiss Re vertreten war, unterscheidet dann auch nicht zwischen tatsächlichen und so genannten Scheinrisiken. Grund: Letztere können ebenso grossen wirtschaftlichen Schaden anrichten wie «echte» Risiken. Mit ein Grund, warum die Versicherungsbranche neuen Technologien oft abwartend gegenübersteht.

Der Forschungsbedarf ist riesig

Lücken gibt es laut Eva Reinhard vom BAG derzeit nicht nur im Wissen, sondern vor allem in der Regulierung der Nanopartikel. Derzeit würden diese über das Chemikaliengesetz geregelt. So müsse in Zukunft beispielsweise die Dosis neu definieret werden, denn das Chemikaliengesetz verlangt weder Angaben über die Grösse bzw. die Anzahl der Partikel noch über deren Oberfläche – Eigenschaften also, die bei Nanopartikeln (und deren erhöhter Reaktivität) eine entscheidende Rolle spielen. Reinhard sprach sich für eine Kennzeichnung von Produkten aus, welche freie Nanopartikel enthalten.

An Gesprächsstoff mangelte es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der NanoConvention also keineswegs. Ein guter Anfang, um die Diskussion über das Für und Wider der Nanotechnologie so richtig in Gang zu bringen, findet Empa-Chef Louis Schlapbach. «Wer die Chancen, welche die Nanotechnologie bietet, nutzen will – und das will die Empa –, der muss das notwendige Wissen über deren Potenzial, aber auch mögliche Gefahren erarbeiten.» Dies könne nur disziplinenübergreifend geschehen, «genau so, wie wir dies an der NanoConvention praktiziert haben», so Schlapbach. Denn nur dann könne das erarbeitete Wissen kreativ und verantwortungsvoll eingesetzt werden, «um der Industrie die nötigen Innovationen zu liefern – und uns allen eine hohe Lebensqualität zu sichern.»

Redaktion

Dr. Michael Hagmann, Abt. Kommunikation, Tel. +41 44 823 45 92, E-mail

Bilder zur NanoConvention können hier angeschaut und heruntergeladen werden. Sie können auch bei oder bezogen werden.