Strassen halten länger dank Nanopartikeln

Des Asphalts wundersame Heilung

21.04.2016 | LORENZ HUBER
Etienne Jeoffroy hat ein Verfahren entwickelt, das brüchigen, alten Asphalt heilen kann. Inspiriert hat ihn eine Methode aus der Krebsbehandlung, die auf Nanopartikeln basiert.
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Konzentriert blickt Etienne Jeoffroy durch seine Schutzbrille. Mit einem kleinen Löffel rührt er ein kupferfarbenes Pulver in ein Reagenzglas. Was aussieht wie Kupferpulver, das sind in Wirklichkeit Eisenoxid-Nanopartikel. Beim Arbeiten mit ihnen muss Jeoffroy seine Hände in einen sogenannten Autoklaven stecken, einen Glaskasten, dessen Innenraum mit reaktionsträgem Schutzgas gefüllt ist. Normalerweise forschen Wissenschaftler von der Gruppe Prof. André Studart an der ETH Zürich in diesem Labor an sogenannten bioinspirierten Materialien. Heute gehört der Arbeitsplatz dem Doktoranden aus der Empa-Abteilung Road Engineering: Jeoffroy will mit den Eisen-Nanopartikeln versuchen, den Strassenbau zu revolutionieren.

Um Asphalt zu mischen, wird im Strassenbau Bitumen verwendet, ein Material, das bei der Verarbeitung von Erdöl gewonnen wird. Bitumen ist pechschwarz, extrem dickflüssig und klebrig. Es fungiert im Strassenbelag als eine Art Leim, der kleine Steine und Sand zusammenhält. Durch Abnutzung, Temperaturunterschiede oder chemische Substanzen wie Luftsauerstoff wird dieser Leim brüchig. Es entstehen mit der Zeit Risse im Asphalt. Die sind anfangs mikroskopisch klein, vergrössern sich dann stetig unter der ständigen Belastung des Strassenverkehrs. Das führt über kurz oder lang dazu, dass ganze Strassenabschnitte repariert werden müssen, was bedeutet: hohe Kosten, Baustellen, Stau.

Damit dies in Zukunft vermieden werden kann, hat Jeoffroy eine Art heilbares Bitumen entwickelt. Die Idee ist es, die Risse im Belag zu schliessen, solange sie noch klein sind. «Wenn man die Risse von blossem Auge sehen kann, ist es bereits zu spät», erklärt er. Um das Material heilbar zu machen, mischt Jeoffroy Eisenoxid-Nanopartikel ins Bitumen. Werden sie einem Magnetfeld ausgesetzt, erwärmen sie sich. Die Wärme wird an das Bitumen abgegeben, welches bereits bei Temperaturen von 50 bis 100 Grad seine Viskosität stark reduziert. Das heisst, es beginnt langsam wieder flüssig zu werden und schliesst die kleinen Risse in der Oberfläche der Strasse. Um eine so vorbereitete Strasse instand zu halten, müsste man sie in Abständen von etwa einem Jahr mit einem Spezialfahrzeug abfahren, welches ein magnetisches Feld erzeugt. So würden Mikrorisse im Asphalt immer wieder geheilt, und der Strassenbelag würde deutlich länger halten.

Lösung aus der Hightech-Medizin

Vor einigen Jahren verfolgte das Road-Engineering-Labor der Empa unter der Leitung von Manfred Partl bereits einen ähnlichen Ansatz. Anstelle von Nanopartikeln verwendeten die Forschenden damals noch Stahlwolle-Fasern. Das Verfahren wies jedoch drei Schwächen auf: Die Fasern waren schwierig mit dem Bitumen zu vermischen. Anstatt sich gleichmässig zu verteilen, bildeten sich an verschiedenen Stellen Klumpen. Jeoffroy nennt das den «Wollknäuel-Effekt». Er führte zu lokalen Überhitzungen, wenn die Fasern sich unter der Wirkung eines Magnetfelds erhitzten. So könnten Schäden im Belag entstehen.
Ein weiterer Punkt war die Korrosion der Fasern. Da sie aus Stahlwolle bestanden, bildete sich nach einer gewissen Zeit Rost an der Oberfläche.

Das weitaus grösste Problem aber war, dass sich Metallfasern dieser Grösse in einem Magnetfeld nur langsam erwärmen. So hätte man für die «Heilung» eines halben Meters Strasse mehrere Minuten gebraucht. Das macht, hochgerechnet auf einen 12 Kilometer langen Strassenabschnitt (ungefähr die Länge der Nordumfahrung Zürichs) eine Heilungszeit von ein bis zwei Monaten. Da man eine Strasse zur Behandlung mit dem Magnetfeld-Fahrzeug sperren muss, wäre eine solch lange Servicezeit schlichtweg unrealistisch.

Um die Schwachpunkte der alten Methode zu beheben, verfolgte Jeoffroy verschiedene Lösungsansätze. Als erstes verwendete er an Stelle von Stahlwolle-Fasern Stahlpartikel im Millimeterbereich. So umging er zwar den «Wollknäuel-Effekt», hatte aber immer noch das Problem der Korrosion und der zwar etwas verkürzten, aber immer noch viel zu langen Aufheizzeit.

Schliesslich fand Jeoffroy in der Medizin eine Lösung: Magnetische Hyperthermie ist ein Verfahren, das seit einigen Jahren bei der Bekämpfung von Krebstumoren zum Einsatz kommt. Dabei werden magnetische Eisenoxid-Nanopartikel in den Tumor gespritzt und, genau wie beim Asphalt, von aussen einem Magnetfeld ausgesetzt und erhitzt. Der Tumor soll auf diese Weise von innen her ausgebrannt und zerstört werden.

Inspiriert von diesem Verfahren, ging Jeoffroy zwei Grössenordnungen tiefer – vom Millimeter- in den Nanometerbereich – und setzte anstelle von metallischen Stahlpartikeln magnetische Nanopartikel ein. «Je kleiner dabei die Teilchen sind, desto schneller erwärmen sie sich», erklärt Jeoffroy. Tatsächlich gelang es ihm mit Hilfe der Eisenoxid-Nanopartikel aus der Krebsbekämpfung, die Aufwärmzeit auf wenige Sekunden zu verkürzen. Gleichzeitig lösten die Nanopartikel das Rostproblem. Eisenoxid ist kein Metall, und wo kein Metall, da entsteht auch kein Rost.

Nie wieder Risse im Belag

Tests mit dem Nanopartikel-Bitumen verliefen allesamt sehr vielversprechend. «Bei einem Asphalt mit diesem Bitumen werden nie wieder Risse im Belag der Grund sein, wieso ein Strassenstück erneuert werden muss», verkündet er.
Auch gesundheitlich sei das Verfahren unbedenklich. Die ohnehin biokompatiblen Eisenoxid-Nanopartikel, werden im Bitumen so stark gebunden, dass sie praktisch nie wieder «freikommen».

Der einzige Haken an Jeoffroys Methode ist derzeit ihr Preis. Die verwendeten Nanopartikel sind momentan viel zu teuer für eine tatsächliche Anwendung. Doch auch für dieses Problem meint Jeoffroy eine Lösung zu kennen: In einem ganz anderen Bereich der Wirtschaft hat er ähnliche Nanopartikel gefunden, die sich, seiner Meinung nach, ebenfalls für das Verfahren eigneten. Sie seien zwar minim grösser als die Nanopartikel aus der Krebsheilung, dafür viel billiger. Das macht das Bitumen markttauglich. Ein Jahr muss Jeoffroy noch auf die Bestätigung seines Patents warten. Diese Zeit will er nutzen, um die neuen Partikel auszuprobieren und um sein Verfahren in der Praxis zu testen. «Im Labor hat alles funktioniert. Jetzt muss es das auch noch draussen», sagt er. Seine Laborkleidung wird Jeoffroy also schon bald ablegen, denn nun gilt es für den Doktoranden, die Forschungsräume zu verlassen und seinen Asphalt den Strapazen der Strasse auszusetzen.

Weitere Informationen

Prof. Dr. Manfred N. Partl
Strassenbau/Abdichtungen
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